FILM.TV: Wie dicht ist das Szenario von "Das Bourne-Vermächtnis" an der Wahrheit?
Tony Gilroy: Leider ist nichts im Film wirklich Science-Fiction. Ich sage nicht, dass es etwas gibt, das genau so ist. Aber alles im Film kommt sehr schnell auf uns zu. Das Wall Street Journal hat vor kurzem einen Artikel über die Olympischen Spiele herausgebracht, über die Suche der Dopingfahnder nach Steroiden und Blutdoping. Wovor sie sich jetzt fürchten ist Gen-Doping. Das Militär ist schon lange scharf darauf. Im Ersten Weltkrieg fingen sie mit Intelligenztests an. Seitdem haben sie immer weiter geforscht.. Dazu kommen Implantate oder einfach Drogen, damit die Menschen Maschinen schneller bedienen können. Es gibt alles Mögliche.
FILM.TV: Sie die militärischen Anwendungen nicht nur die Spitze des Eisbergs ? Wann wird das kommerziell verwertet?
Tony Gilroy: Wird es das nicht schon ? Wieviele Studenten nehmen Aterol oder Ritalin oder Provigil ? Provigil kommt von der Air Force. Es ist eine Wachmacherdroge, die in den USA auf dem Markt ist. Vielleicht gibt´s dann auch irgendwann Superjournalisten.... oder Superregisseure, die nie schlafen.
FILM.TV: Was sind die Hauptunterschiede zwischen Aaron Cross und Jason Bourne?
Tony Gilroy: Sie sind grundverschieden und doch in gewisser Weise Cousins. Jason weiß nicht, wer er ist und will herausfinden wo er herkommt. Er hat ein großes moralisches Dilemma. Er glaubt, er wäre sei eine gute Person aber hat schreckliche Dinge getan. Aaron Cross kommt aus einem anderen Programm. Bei Jason Bourne´s Programm Treadstone wurden Killer ausgebildet. Das Programm in dem Aaron Cross ist, dort geht es eher um Spione, sehr isolierte Agenten, die auf sich gestellt sehr gefährliche Orte aufsuchen und untertauchen. Da geht es mehr um soziale Fähigkeiten. Er muss anpassungsfähig sein, er muss Menschen emotional einschätzen und sich einfügen. Aber er weiß genau wo er herkommt. Und er weiß genau wie schrecklich seine Herkunft ist. Die Idee hat mich fasziniert, dass er von einem dunklen Ort kommt und die Gefahr, dorthin zurückzukehren war eine der grundlegende Ideen des Films.
FILM.TV: Was war zuerst da - Die Figur oder Jeremy Renner?
Tony Gilroy: Die Rolle hatten wir sieben Monate bevor wir Jeremy hatten. Ich dachte ja das würde einfach werden aber man kann nicht einfach so ein paar Schauspieler treffen. Wenn man damit anfängt, muss man alle treffen. Es könnte sonst sein, dass man jemanden verpasst. Aber selbst wenn man jemand nicht interessant findet - vielleicht will man ihn in zwei Jahren für einen anderen Film und dann sind sie eingeschnappt , weil sie damals nicht vorsprechen durften. Ich dachte das wird nervig und es war auch zeitaufwändig aber auch interessant. Ich habe alle getroffen. Ein paar Leute waren sehr überraschend, ein paar waren furchtbar enttäuschend... . Mit einigen haben wir Probeaufnahmen gemacht, aber Jeremy stand nie auf der Liste, er war nicht verfügbar. Wir kamen einer Entscheidung immer näher und dann wurde bei "The Avengers" etws verschoben und er war frei. Wir haben uns dann mit Jeremy hier in Berlin getroffen.
FILM.TV: Was macht Jeremy Renner als Actiondarsteller so überzeugend?
Tony Gilroy: Wir brauchten einen tollen Schauspieler. Wir hatten ja vorher schon Matt Damon. Und die Rolle ist wirklich anstrengend. Jeremy ist ein großartiger Schauspieler, dass weiß jeder. Und wir brauchten jemanden der enorm athletisch ist. Wir haben nicht viele Computereffekte, wir wollten so viel wie möglich live vor der Kamera machen. Und wir wollten jemand, den das Publikum erkennt, der aber nicht festgelegt ist. Wir wollten keinen bekannten Star ummodeln oder aus der Versenkung holen, sondern jemanden von dem die Zuschauer noch kein klares Bild haben.
FILM.TV: Hätte man nicht wie bei den Jack-Ryan-Filmen einfach einen neuen Schauspieler nehmen können für Jason Bourne nehmen können?
Tony Gilroy: Ich glaube mit Bourne kann man das nicht machen. Das Studio hat bestimmt drüber nachgedacht und wollte Prequels drehen aber mich hat das nicht interessiert. Wenn es eine Sache gibt, die diese Serie stark gemacht hat, dann, dass sie nie zynisch war. Integrität ist unverzichtbar um die Illusion aufrecht zu erhalten. Wir haben keine Schurken im Film. Edward Nortons Charakter hat eine sehr klare Weltsicht. Daran ist nichts zynisches. Da gibt es eine gewisse religiöse Reinheit in dem was er tut. Ob nun richtig oder falsch, er sieht sich als Patriot. Man kann Matt Damon als Jason nicht ersetzen. Bei anderen Serien geht das aber ich glaube das würde hier nicht funktionieren. Wir sind nicht so zynisch , dass wir glauben wir können machen was wir wollen um Geld zu verdienen.
FILM.TV: Es wurde schon über ein mögliches Sequel gesprochen, Matt Damon soll gesagt haben, er könnte sich ein Comeback vorstellen. Aaron Cross und Jason Bourne könnten sich treffen. Haben sie schon eine Idee wie das aussehen könnte?
Tony Gilroy: Ich glaube niemand von uns hat gesagt, dass das so kommt, ich glaube auch Matt Damon hat das nicht gesagt. Es gibt absolut keinen Plan. Ich habe keine Rechte an der Reihe , ich habe keine Verpflichtung weiterzumachen. Ich glaube, niemand hat zu Matt Damon darüber gesprochen. Wir lassen jetzt erstmal das Publikum entscheiden. Ich hoffe die Leute wollen mehr, es gibt viele Möglichkeiten wie es weitergehen könnte.
FILM.TV: Warum faszinieren Spionagegeschichten die Menschen?
Tony Gilroy: Sie können vieles bedeuten. Konflikte sind immer gut für die Dramatik, Leben und Tod sind gut für die Dramatik, Politik, Nachrichten und was in unserer Umgebung passiert ist gut für die Dramatik. So wie Leute sagen „Science-Fiction“ kann sehr gut die sozialen Ängste und Spannungen reflektieren, so können Spionagefilme das Verhalten der Menschen widerspiegeln. Schauen sie sich die Arbeit von John LeCarre an. Ich glaube es gibt keinen in der Literatur der letzten 40 Jahre, der sich Charaktere und menschliches Verhalten und Probleme mit mehr Tiefgang angeschaut hat. Die Spionage benutzt er als Hintergrund dafür. Der Druck und die Spannung kommen den Charakteren zu Gute.
FILM.TV: Wie haben die Bourne-Filme das Spionage-Genre verändert?
Tony Gilroy: Als wir anfingen vor 13 Jahren sahen Spioagefilme immer so aus: 50 Hubschrauber, die über den Horizont fliegen. Ich hatte schon seit Jahren versucht Regisseure zu überzeugen, kleinere Actionfilme zu drehen. Wir drehten damals "Lebenszeichen“ (mit Russell Crowe) , der hatte am Ende tolle Actionszenen. Es fühlte sich gut an, dass die Action auf den Figuren basierte und taktisch korrekt war. Ich habe versucht andere dafür zu begeistern. Als Doug (Liman) mir den ersten Drehbuch-Entwurf von „Die Bourne-Identität“ zeigte, war das riesig, mit einer großen Schießerei in der Pariser Metro. Ich sagte “man könnte das kleiner machen“. Die Idee war, einen Action nicht mit Orchester sondern als Kammermusik zu machen. Wenn man sich um die Figuren sorgt und glaubwürdig bleibt, kann das genauso spannend sein wie 50 Hubschrauber am Horizont.
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